„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“

Liebe Gemeinde,


seit einiger Zeit finden wieder Gottesdienste statt, wenn auch in etwas ungewohnterer Gestalt, mit Abstand und ohne Singen, und oft noch als Video. Aber es sieht so aus als habe sich das Virus mit all diesen drastischen Maßnahmen eindämmen lassen. Alltag hat sich anhaltend verändert, jeder musste sich erst einmal auf die neue Situation einstellen. Sachbearbeiterinnen stellten den Laptop auf den Esstisch. Schüler lassen sich Hausaufgaben per Mail zustellen. Joggingrunden im Park ersetzen das Training im Fitness-Studio. Fehlende Betreuung im Kindergarten wurde und wird unter großem Aufwand zuhause organisiert. Die jungen Leute aus der WG erledigten die Besorgungen für die gefährdeten Senioren im zweiten und vierten Stock mit. Mit Phantasie und Improvisation ist vieles gelungen, das merke ich in ganz vielen Bereichen. Aber es kostete auch unendlich viel Kraft, Nerven und Anstrengung.

Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.

Diese Worte sollen kräftigen, stärken, trösten. Und sie tun das auch. Aber Vorsicht: Wer sie zu oft hört, dem werden sie schal. Sie verlieren dann an Glaubenskraft.  Nicht der Inhalt ist das Besondere an diesen Worten, sondern derjenige, der sie ausspricht.
Es fällt auf, wie eindringlich Jesus an dieser Stelle im Matthäusevangelium über Vater und Sohn redet. Er denkt nach über die einzigartige Beziehung zwischen Gott, dem Vater und Gott, dem Sohn, dem Menschensohn Jesus von Nazareth. Das Ergebnis dieser Überlegungen lautet ganz einfach:  Wer über Gott etwas wissen will, kann das nur erreichen, wenn er sich dem Leben des Menschen Jesus zuwendet. Die Liebe Gottes ist zuerst an einem menschlichen Leben zu erfahren und zu erkennen. Gott ist Mensch geworden, aber eben kein beliebiger Mensch, sondern ein Sohn mit Eigenschaften. Söhne sind durch eine enge Beziehung zum Vater geprägt. In seinem Umgang mit Kranken und Schwachen lässt sich Jesus von Demut und Sanftmut bestimmen.


Demut ist in der Gegenwart ein unpopuläres Wort geworden. Viele Menschen halten das für eine verdruckste und verkniffene Form der Zurückhaltung und orientieren sich lieber am öffentlich zur Schau gestellten Selbstbewusstsein von Sängerinnen, Schauspielern und Politikern. Aber dieses erscheint in seiner Mischung aus fehlendem Selbstzweifel und Selbstliebe eher als aufdringlich und penetrant. Ich bin überzeugt, dass sich Demut und angemessenes Selbstbewusstsein nicht ausschließen. Demut sorgt dafür, dass ich in meiner Lebenswelt nicht nur mich selbst sehe, sondern dass ich anderes gelten lassen und – noch mehr - respektieren kann. Demut sagt: Ich bin nicht allein in dieser Welt. Ich sehe meine Mitmenschen, die nahen und die fernen. Ich rede mit ihnen. 


Liebe Gemeinde, gegenwärtig findet eine fast vergessene Geste der Demut weltweit wieder viele Nachahmer: Menschen knien nieder. Das eine Bein ist angewinkelt, mit dem anderen knien sie am Boden. Sie lassen ihre Körper sprechen und nehmen eine Haltung ein, aus der man auf niemanden herabsehen kann.
Auf diese Weise protestieren sie gegen Brutalität und Polizeigewalt. Black lives matter.
Drei Worte stehen für die Empörung darüber, was unzählige Menschen nichtweisser Hautfarbe tagtäglich durch Rassismus, Diskriminierung und Chauvinismus erfahren. Entschlossen und kraftvoll knien sie auf dem Asphalt und senken den Kopf.


Wer das aushält, in spannungsgeladenen Situationen gewaltlos zu bleiben, der braucht eine gehörige Portion sanften Mutes! Und solche Zeichen wirken: Polizisten – manche in voller Montur und schwerbewaffnet – übernehmen die Haltung, folgen dem Beispiel der Demonstrierenden und knien ebenfalls nieder.
Mich berühren diese Bilder sehr. Ich kann nicht verstehen, warum Menschen auf Grund von Herkunft oder Hautfarbe so anders, so demütigend anders behandelt werden.


Aber mir ist auch klar: ich sage das als weiße privilegierte Frau. Ich habe das scheinbare Glück mit einer hellen Haut geboren worden zu sein. Ich musste im Alltag nie Rassismus gegen mich erleben. Ich musste nie auf Ämtern oder beim Arzt länger warten als alle anderen. Von mir hat sich nie jemand in Bus und Bahn weggesetzt oder bewusst den Platz neben mir frei gelassen. Ich wurde nie gefragt: „Und wo kommst du eigentlich her?“


Es reicht für mich nicht, dass ich nicht rassistisch sein will, dass ich versuche nicht fremdenfeindlich zu denken. Ich kann mein Privileg, das ich mir nicht ausgesucht habe, auch nutzen für andere. Ich kann hinhören, mich informieren und lernen von Betroffenen. Ich kann mich immer weiterbilden, was es bedeutet im Alltag ausgegrenzt zu werden. Und jetzt spreche ich nicht mehr von der brutalen Polizeigewalt einzelner amerikanischen Polizisten. Ich spreche von Deutschland, von Ingolstadt, vom Pius-Viertel hier. Ich kann öffentlich aussprechen, dass ich damit nicht einverstanden bin. Ich kann Menschen unterstützen, die schwer zu tragen haben, an der Ungerechtigkeit, die wir Menschen uns gegenseitig antun. Und ich kann mich an Jesus wenden. „Lernt von mir! Denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.“ Diese Einladung gilt allen Menschen. Und nicht nur einmal. Immer wieder kann und muss ich das lernen. Demut. 
Und wofür? Für das Gebot, das über allen Geboten steht:

Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst.

Das Gebot der Nächstenliebe. Jeder Mensch ist gleich und verdient es, gleich behandelt zu werden. Wenn ich mich an Jesus wende, dann nehme ich das Joch des Gebotes der Nächstenliebe auf mich. Das ist aber kein hartes Joch und keine schwere Last. Es ist sanft und leicht.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.